GAM.02 – Design Science in Architecture. GAM.02 liegt vor. Wir haben es geschafft! Ein Jahr nachdem GAM, das Graz Architektur Magazin, zum ersten Mal erschienen ist, können wir GAM.02 vorstellen. Die Vorlaufzeit für GAM.01 betrug fast zwei Jahre, gab es doch unzählige Aspekte und Details zu klären, um dieses buchähnliche Magazin zu positionieren. Diese Phase konnte jetzt, durch die gewonnene Erfahrung, beträchtlich verkürzt werden. Dafür war der Ehrgeiz umso größer, eine qualitativ ebenso gute Ausgabe wie GAM.01 zu produzieren, wenn nicht gar eine bessere, denn das Feedback, die Rezensionen und die Kritik zu GAM.01 waren ausnahmslos positiv; das spornt an und erzeugt Druck zugleich.
GAM wurde als Plattform für einen internationalen Architekturdiskurs konzipiert, auf der relevante Inhalte aufgegriffen und zur Diskussion gestellt werden, auf der aber auch Themen von der GAM-Redaktion gesetzt werden, um sie so in einem internationalen Rahmen betrachten und evaluieren zu lassen. GAM.01 war dem Feld „Tourismus und Landschaft“ gewidmet, eine Thematik, die im gegenwärtigen Diskurs greifbar ist, dem wir mit der Veröffentlichung noch weitere Facetten hinzufügen konnten. Mit der Fragestellung nach einer „Design Science in Architecture“ greifen wir nun ein Thema auf, das zwar latent den Architekturdiskurs begleitet, jedoch bisher noch nicht in einer fokussierten Diskussion verortet worden ist. Die Fragestellung ist eine Herausforderung, denn das Thema ist äußerst komplex und vielschichtig. Deshalb hat es uns umso mehr gefreut, über 40 Textbeiträge von Autorinnen und Autoren erhalten zu haben, die auf unseren Call for Papers reagiert haben und offensichtlich mit uns sich dieser Reflexion widmen wollten.
„Design Science ist die effiziente Anwendung von wissenschaftlichen Prinzipien zur bewussten Gestaltung unseres gesamten Umfeldes. Damit sollen die begrenzten Ressourcen der Erde für die Bedürfnisse der Menschen so eingesetzt werden, dass die ökologischen Prozesse des Planeten Erde nicht gestört werden.“ Dieses Zitat von Buckminster Fuller haben wir unserem Call for Papers für GAM.02 vorangestellt. Die dieser Definition zu Grunde liegende Forderung interessierte uns dabei nicht im Sinne eines Rückblickes, etwa auf Fullers Werk, das in jüngerer Zeit wieder verstärkt gewürdigt wird, sondern in ihrem ganzheitlichen Anspruch, den es auf die heutige Situation zu übertragen gilt. Der Idealismus, der in Fullers Definition zum Ausdruck kommt, kann dabei sowohl als Anregung, als auch als Herausforderung zur Kritik verstanden werden.
Nachdem die Euphorie verflogen ist, die Architektur fast ausschließlich über die Wirkung des Objekts zu bestimmen, erscheint die Zeit reif, neue Möglichkeiten der Definition von Architekturqualität in den Diskurs zu führen. Architektur einzuordnen ist schon immer schwer gefallen, weshalb auch die Flucht in die Objekt- und Zeichenhaftigkeit, auf welche sich das Starsystem zum großen Teil stützt, verständlich ist. Ist Architektur den Künsten zuzurechnen, oder gar den Wissenschaften? Der Künstlerarchitekt hat sich als Erscheinung des Starsystems überlebt. Ist es jetzt eine wissenschaftlich begründbare Architektur, die in den Mittelpunkt des Diskurses rückt? Wird dabei ein naturwissenschaftlicher, ein geistes- oder kulturwissenschaftlicher Ansatz verfolgt? Oder gibt es da noch andere, in der Architektur selbst entstandene Ansätze? Muss ein solcher Ansatz definiert werden um die Architektur legitimieren zu können? Inwiefern handelt es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz oder um eine Methodik, im Besonderen um eine Entwurfsmethodik oder um eine fundierte strategische Prozesshaftigkeit?
In unserem Call for Papers haben wir das Thema „Design Science in Architecture“ in die Bereiche Raum, Kultur, Technik und Informatik unterteilt und versucht, es somit vorzustrukturieren, genau wissend, dass, sobald Kategorien definiert werden, die Grenzen dieser Kategorien wesentliches Thema werden können. Bei der Zusendung der Beiträge konnten wir dann auch feststellen, dass diese Unterteilung in die vier Kategorien, wie erwartet, nicht immer einzuhalten war. Bei den Kategorien handelt es sich in gewisser Weise um Teil- und um Schnittmengen, bei denen die Grenzen diffus zu sein scheinen, was zum einen das Thema interessant macht und zum anderen eine ungemeine Herausforderung darstellt.
Durch das Vorgeben des Themas „Design Science in Architecture“ wird der Versuch unternommen, die diesbezüglichen Latenzen zu lokalisieren und argumentativ zu definieren. Die große Bandbreite der eingegangenen Beiträge zeigt, dass diese Rechnung aufgegangen ist, und es tut uns aufrichtig leid, nicht alle substanziellen Texte in dieser Ausgabe veröffentlichen zu können. An dieser Stelle möchten wir auf jeden Fall all denjenigen unseren Dank aussprechen, die sich mit diesem Thema auseinander gesetzt haben, die ihre Beiträge eingereicht und sich dem Peer-reviewing-Prozess gestellt haben. Nach intensiver Auseinandersetzung unseres Redaktionsbeirats – dessen Mitgliedern wir an dieser Stelle ebenso danken möchten – mit den eingegangenen Beiträgen und den Abwägungen innerhalb der Redaktion haben wir uns entschlossen, neun Beiträge zu publizieren, die zum einen die Bandbreite des gestellten Themas aufzeigen und zum anderen die Teilbereiche der Design Science sehr eingehend behandeln. Aus der Bewertung der Beiträge ergaben sich schließlich vier Gegenüberstellungen von kontrastierenden Sichtweisen zu verwandten Themen. Die Auswahl entspricht unserer Ambition, GAM als Plattform für einen spannungsreichen Diskurs zu etablieren.
Der Aufsatz über das „Wissen der Architektur“ von Susanne Hauser beschäftigt sich mit der gegenwärtigen Tendenz zur Verwissenschaftlichung von Architektur und bietet einen eloquenten und differenzierten Einstieg in das Heftthema. Die darauf folgenden beiden Beiträge gehen von je sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf Technik aus. Brian Cody postuliert in „Form follows Energy“, dass die Energiefrage für die Architektur auch eine zentrale Gestaltungsfrage wird. Christian Holl und Luc Merx behandeln in „Naturn he und Naturdistanz“ mit dem sogenannten „Sculpture House“ ein Fallbeispiel organischer Architektur, welches sie, quasi als Lowtech-Variante, zum gegenwärtigen Formfindungsdiskurs in Bezug setzen. Die nächsten beiden Beiträge beschäftigen sich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit. Bert de Muynck diskutiert in „Various Prospects on the Principle of Over Population“ dieses Thema hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung als Herausforderung für die Architektur. Brooke Wortham lenkt in „Cultural Sustainability and Architecture“ den Blick auf die fehlende kulturelle Dimension der Nachhaltigkeitsdiskussion. Der dritte Themenbereich ist der Umgang mit komplexen Phänomenen bzw. mit Informationstechnologie. Jörg Rainer Noennig geht in „Languaging Complexity – Architektur als Wissensform“ den multiplen Darstellungs- und Denkmethoden der Architektur nach, während Ulrich Koenigs in „Adaptive und selbstorganisierende Systeme in der Architektur“ neue, aus den Naturwissenschaften abgeleitete Gestaltungsprinzipien propagiert. Um theoretische Fragestellungen geht es bei den abschließenden beiden Beiträgen. Gernot Weckherlin greift in „Die Architekturmaschine oder: Architekturtheorie als angewandte Wissenschaft“ die Diskussion aus den 1970er Jahren auf. Christian Gänshirt geht in „Eine Theorie des Entwerfens? Zu den Schriften von Otl Aicher“ einer ähnlichen Frage nach, indem er sie anhand eines prominenten Lebenswerks studiert.
Die Fotostrecken bilden in bestimmter Weise eine Gegenposition zu den in den Texten vorgenommenen Überlegungen. Hier haben wir Beiträge ausgewählt, die das nicht Geplante oder auch das nicht Gewollte ins Bild setzen. Die Betrachtung durch das Objektiv des Fotografen rückt den Tatbestand einer unkonstruierten Umwelt für den Betrachter in den Vordergrund, wobei deutlich wird, dass das Ungeplante schon längst unbewusst wahrgenommen, selbstverständlicher Bestandteil des Alltäglichen geworden ist. Wie in GAM.01 konnte auch für GAM.02 Bas Princen uns mit der Reaktion auf das gestellte Thema überzeugen. Von ihm haben wir die Fotostrecke „Tirana“ aufgenommen. Aus der Serie „Belgrad“, ebenfalls von Bas Princen, wurde das Image für das Cover entnommen. Ferner haben uns die Arbeiten von Hendrik Schomburg zur sich selbsterzeugenden Poetik des Hamburger Hafens beeindruckt, die mit der von Hans-Jürgen Burkard festgehaltenen, wiederum vollends konstruierten Alltags-Wirklichkeit aus dem Ikea-Reich kontrastiert wird.
Im Gegensatz zu GAM.01 haben wir bei dieser Ausgabe auf Architekturprojekte verzichtet, nicht zuletzt aus dem Grund, weil uns das Gebaute, oder das zu realisierende Projekt, in seiner ganzen Komplexität als zu breit angelegt erschien, um auf den sehr spezifischen Aspekt der Design Science heruntergebrochen werden zu können. Stattdessen haben wir zwei aktuelle Bucherscheinungen, die sich thematisch mit dem Bereich der Design Science auseinandersetzen – Stanford Andersons Buch über Eladio Dieste und Michelle Addingtons und Daniel Schodeks „Smart Materials and Technologies for the Architecture and Design Professions“ – mit einer Besprechung in den Hauptteil aufgenommen. Schließlich sind noch nennenswerte Projekte aus der Grazer Architekturfakultät des letzten Jahres sowie Erfolge der Studierenden, die zur Positionierung der jeweiligen Person wie auch der Fakultät im lokalen und internationalen Kontext beitragen, im Teil der Faculty News veröffentlicht.
Für GAM.03 haben wir das Thema „Architecture Meets Life“ gesetzt (siehe Call for Papers, S. 234), ein Thema, das wir für den gegenwärtigen Architekturdiskurs für ungemein wichtig erachten. Auch hier hoffen wir wieder zahlreiche, substanzielle Beiträge zu erhalten.
Mit den Zusendungen für GAM.02 und durch verschiedenste Kommentare aben wir gemerkt, dass die GAM-Community langsam, aber stetig wächst. Wesentliches Ziel mit der Schaffung von GAM war es ja, eine Plattform für den internationalen Architekturdiskurs zu schaffen. Die Resonanz bis jetzt war äußerst positiv. Es würde uns daher sehr freuen, wenn Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, mit uns diesen Weg gemeinsam weitergehen.
„Design Science in Architecture“ bildet auch die thematische Klammer für unsere Forschungsaktivitäten an der Architekturfakultät der TU Graz. Institute verschiedener Ausrichtung sowie Personen mit unterschiedlichen Schwerpunkten bringen ihre Themen in diesen Forschungsschwerpunkt ein, um so gemeinsam diesen Komplex zu fassen, ohne dabei den wahrscheinlich zum Scheitern verurteilten Versuch unternehmen zu wollen, eine einzige Design Science definieren zu wollen. Hier zeigt sich eine gewisse Analogie zum Aufbau von GAM.02, nämlich bei der bewussten Streuung der thematischen Inhalte, um durch diese Vorgangsweise ein m glichst breites Spektrum nutzen zu können, die Design Science argumentativ zu verorten.
Wir möchten uns bei all denjenigen bedanken, die bei der Erstellung von GAM.02 geholfen haben, bei organisatorischen wie auch bei redaktionellen Arbeiten, bei den Lektorinnen, den Übersetzerinnen und den GrafikerInnen. Es freut uns sehr, dass die Redaktion von GAM.01, Urs Hirschberg, Günter Koberg, Jörn Köppler und Roger Riewe, um ein zusätzliches Mitglied erweitert werden konnte. Ullrich Schwarz, neu berufener Professor für Architekturtheorie und Baugeschichte, ist seit Herbst 2004 Mitglied der GAM-Redaktion.
Wir hoffen, mit diesem Heft bei Ihnen Neugierde wecken zu können, über das behandelte Thema nachzudenken oder sich diesem ganz einfach lesend zu nähern. Bitte umblättern!