The Architecture Lobby members perform outside the Pennsylvania Convention Center during the 2016 National AIA Convention | Mitglieder von The Architecture Lobby demonstrieren vor dem Pennsylvania Convention Center während der National AIA Convention 2016 © Peggy Deamer
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Deprofessionalisierung und Architektur

Peggy Deamer

„Sie ist ein Profi!“ Diese Aussage evoziert so Vieles: Bildung, Klasse, Stabilität, Expertise. In der Architektur verdichten sich diese Vorstellungen zu einem gewissen Glanz, der neben Kultiviertheit, Oberschichtzugehörigkeit, Sicherheit und Wohlbestalltheit auch Kreativität und Coolness signalisiert. Aber was bedeutet professionell zu sein wirklich?

 

 

Definitionen. Einige Gegensatzpaare, durch die „Professionalität“ kontradistinktiv definiert wird, vermitteln erste Einblicke; diese sind zwar nicht „technischer“ Art, tragen aber zum allgemeinen Verständnis bei und sollten daher nicht unbeachtet bleiben. Ein offensichtlicher Gegensatz ist der zwischen „Profi“ und „Amateur“. Ihm wohnt ein monetärer und ein performativer Aspekt inne: Ein Amateur eine Person, die unbezahlt und nur, wenn ihr danach ist, einem inneren Bedürfnis nachgeht, wogegen ein Profi sein Metier berufsmäßig und zu festen Zeiten ausübt, unabhängig von Stimmungen, Wünschen oder persönlichen Problemen.[1] (Hmm. Der monetäre Teil klingt gut, aber das Arbeitsbienenhafte ist weniger reizvoll und spießt sich mit der unplanmäßigen Inspiration.) Ein weiterer Gegensatz ist der zwischen „Profi“ und „Experte“. Einer geläufigen Redensart zufolge wissen ExpertInnen viel über weniges, wogegen Profis wenig über Vieles wissen; oder: ExpertInnen müssen die Antworten haben, Profis die Fragen. (Huch. Wollen wir unseren AuftraggeberInnen wirklich nicht sagen können, dass wir sehr wohl die Antworten haben?) Ein dritter Gegensatz stellt die Profession dem Geschäft gegenüber: eine Profession erbringt eine soziale Leistung; mit einem Geschäft verdient man Geld. (Autsch. Eigentlich wollen wir doch auch Geld verdienen.) Ein vierter Gegensatz ist der zwischen Profession/Beruf und Berufung. Mit einer Berufung ist ein tieferer Zweck oder ein Beitrag zu Welt verbunden, wogegen eine Profession eine Art Job oder eine Karriere mit bestimmten Fertigkeiten meint. (Das ist verwirrend! Bestehen wir denn nicht immer darauf, dass unsere Ausbildung nicht rein beruflich ist, wie das Erlernen technischer Fertigkeiten?) Ein fünfter Gegensatz ist der zwischen ArchitektInnen mit und solchen ohne Lizenz, die einen geschützt und staatlich anerkannt, die anderen freiberuflich und unternehmerisch agierend. (Aber wird uns nicht allen beigebracht, dass wir „innovativ“ sein und „den Rahmen sprengen“ sollen?) Sechstens wird zwischen Berufsverbänden und ArbeitnehmerInnenvertretungen/Gewerkschaften unterschieden: Gewerkschaften kümmern sich um die Beziehungen zum Arbeitgeber, Berufsverbände um individuelle Bedürfnisse. (Du liebe Güte. Sollten wir ArchitektInnen uns nicht gemeinsam um eine befriedigende Work-Life-Balance für die gesamte Branche bemühen?)

 

 

Diese mit „Professionalität“ verbundenen Vorstellungen erschweren eine unkomplizierte Würdigung der harten Arbeit, der es bedarf, ein professioneller Architekt oder eine professionelle Architektin zu werden, und machen es erforderlich, das Für und Wider der Professionalität genauer in den Blick zu nehmen. Besser gesagt: Da wir das Für – den finanziellen Status, den wir üblicherweise damit verbinden – kennen, erfordern sie eher, das Wider von zwei unterschiedlichen Seiten zu betrachten: von daher, was gegen diesen glücklichen Zustand spricht, und umgekehrt, was für das Nicht-professionell-Sein, also die tatsächlichen Vorzüge der Deprofessionalisierung, spricht.

 

 

Argumente wider den Professionalismus

1. Berufliche Isolierung
Technisch gesprochen ist eine Profession eine Berufstätigkeit/ein Gewerbe, die/das staatlich reguliert ist. In den USA wird vom jeweiligen Bundesstaat festgelegt, was als „Profession“ gilt, und das kann, je nach Staat, SchlosserInnen, TanzlehrerInnen, ZöpfeflechterInnen, ManikeurInnen, InnenausstatterInnen, HeilmasseurInnen oder SattlerInnen betreffen. Das Wort „Profession“ ist im Grunde gleichbedeutend mit der Genehmigung, die Tätigkeit/das Gewerbe auszuüben. Die Verschiebung von der lohnabhängigen Beschäftigung zur freien Dienstnehmerschaft schuf einen der schnellstwachsenden Arbeitsmärkte in den USA. Diversen Studien zufolge hat die Berufsregulierung die Schaffung von Arbeitsplätzen vor allem am unteren Ende des Spektrums verhindert, ohne zu besseren Leistungen zu führen. 2008 war der Prozentsatz der regulierten Berufe in den USA auf 30 Prozent angewachsen, von unter fünf Prozent in den 1950er-Jahren. Im Gegensatz dazu ist die gewerkschaftliche Organisation im selben Zeitraum von über 30 Prozent der Arbeiterschaft in den 1950er-Jahren auf unter 12 Prozent gesunken. GewinnerInnen dieser Entwicklung sind die staatlichen Regulierungsbehörden, da jede Genehmigung und ihre jährliche Verlängerung zahlungspflichtig sind. VerliererInnen sind diejenigen, die die neoliberale Propaganda von den Vorteilen der Gig-Economy geschluckt haben.

 

2. Der Elitarismus der akademischen Professionen
Dennoch gibt es Professionen und „Professionen“. Die „akademischen Professionen“ wie Jus, Medizin, Ingenieurwesen und Architektur werden vom Staat und durch die Antitrustgesetze als eigene Kategorie anerkannt, definiert durch die Länge des Studiums und die gesellschaftliche Verantwortung, häufig geregelt durch einen Moralkodex. Wie Magali Sarfatti Larson gezeigt hat, entspringt die Erfindung des Professionalismus dem liberalen Kapitalismus des späten 19. Jahrhunderts. Laut Larson verfolgte sie gleichzeitig drei Ziele: die Schaffung eines Bereichs elitären Leitwissens; (ironischerweise zugleich) den Rückgriff auf vorkapitalistische Ideale wie Handwerkskunst, Protektion des sozialen Gefüges und Noblesse oblige; die Einführung von Konventionen der Standardisierung, wissenschaftlicher und kognitiver Rationalität und einer funktionalen Arbeitsteilung – Ziele, die heute alle nicht mehr erforderlich oder angemessen sind.[2] Im Bereich der Architektur wurde der Gentleman-Architekt des 19. Jahrhunderts mit der Klasse identifiziert, für die er arbeitete; dass der erste bekannte Vertrag zwischen Bauherr und Architekt erst im Jahr 1921 geschlossen wurde – fast 30 Jahre nach dem ersten Vertrag zwischen Bauherr und Bauunternehmer (dem ursprünglichen ominösen Anderen) –, zeigt, dass es praktisch keine Trennung zwischen Bauherr und Architekt gab: gleicher sozialer Stand, gleiche Freunde, gleiche Bildung. Bevor die BauherrInnen wirtschaftlich zu denken begannen, waren die ArchitektInnen ihre rechte Hand, auf deren Expertise sie sich vollkommen verließen. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Es liegt auf der Hand, dass die Gründe, die im 19. Jahrhundert für die Professionalisierung im Allgemeinen und die Architektur im Besonderen sprachen, für das Wirtschaftssystem des 21. Jahrhunderts nicht mehr gelten. Weder die damit verbundene Arbeitsteilung noch die sozialen Beweggründe (der Elitarismus) sollten fortgeführt werden.

 

3. Änderungen der Antitrustgesetze
In den USA waren die akademischen Berufe von den Antitrustgesetzen, die den Wettbewerb zwischen Unternehmen sicherstellen sollten, ausgenommen. Den „akademischen Professionen“ wurde eine ethische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zugeschrieben, die es ihnen ersparte, sich auf Kosten sorgfältiger Arbeit preislich zu unterbieten. Deshalb entschieden US-Gerichte zunächst: „Professionen sind etwas anderes als Gewerbe (trades).“ Der konkrete Vorteil dieser Ausnahmeregelung in der Architektur aber auch anderen Berufen äußerte sich in Gebührenordnungen, die festlegten, wie viel einer Firma für einen bestimmten Arbeitsumfang in einem bestimmten Bereich zustand. Aber dieser Schutz vor Honorar-Konkurrenz begann in den USA zu erodieren, als das US-Justizministerium in den 1970er-Jahren Gebührenordnungen als eine Form der Preisabsprache einstufte. Das American Institute of Architects (AIA) wurde vom Justizministerium verklagt, weil es Honorarvorschläge machte. Das führte 1972 bzw. 1990 zum Erlass zweier kartellrechtlicher Anerkenntnisurteile. Ersteres hatte zur Folge, dass das AIA zeitweilig seinen Moralkodex außer Kraft setzte, der die Ausschaltung der Honorar-Konkurrenz mit der Notwendigkeit legitimierte, eine höhere Mission zu erfüllen; zweiteres verhängte eine Geldstrafe von 50.000 Dollar und verpflichtete die AIA zur Verbreitung eines vom Justizministerium produzierten Videos, das die bloße Erwähnung von Honoraren und Löhnen auf lokalen, regionalen und nationalen Treffen für illegal erklärte. Heutzutage existiert die akademische Profession zwar nach wie vor, aber ihre Privilegien sind praktisch inexistent.
Selbstredend hängen diese Argumente gegen die Professionalisierung mit den nachfolgenden Argumenten für eine Nicht-Professionalisierung zusammen und greifen daher die behandelten Themen erneut auf. Gleichwohl dürften bestimmte Vorzüge nicht ganz offensichtlich sein, und es ist vielleicht hilfreich, sie genauer zu beleuchten.

 

 

Argumente für die Deprofessionalisierung

1. Von Überstunden profitieren
Was immer die Vorzüge einer „akademischen Profession“ sein mögen, arbeits- und gewerberechtliche Errungenschaften gehören nicht dazu. Die Gesetze, die Mindestlöhne und die Bezahlung von Überstunden regeln, enthalten Ausnahmebestimmungen für die „akademischen“ Professionen. Das heißt, dass angestellte ArchitektInnen keinen Anspruch auf dieses Recht haben. Laut US-Arbeitsrecht steht festangestellten ArbeitnehmerInnen mit einem Jahreseinkommen unter 47.476 Dollar (913 Dollar die Woche) für die Arbeitszeit, die über 40 Wochenstunden hinausgeht, der anderthalbfache Lohn zu. Sprich: Architekturangestellte, deren Lohn unter dieser Schwelle liegt (also sehr viele), sollten eigentlich Überstundenlohn erhalten … sofern sie nicht einer „akademischen Profession“ angehören. Ausgenommen vom Überstundenlohn sind also Angestellte, „deren primäre Aufgabe die Ausführung von Arbeiten [ist], die ein höheres Wissen erfordern, das heißt, Arbeiten, die vorwiegend geistiger Art sind und Tätigkeiten umfassen, die mit der durchgängigen Ausübung von Ermessensentscheidungen verbunden sind; das höhere Wissen muss auf einem Gebiet der Wissenschaft oder akademischen Bildung liegen und sollte normalerweise im Zuge einer längeren spezialisierten intellektuellen Ausbildung erworben worden sein.”[3] Hören wir auf, „akademisch gebildet“ zu sein und lasst uns einfach nur gerecht entlohnt werden!

 

2. Zertifizierung
Sollte die Lizenzierung hauptsächlich oder ausschließlich der Sicherstellung der Qualifikation dienen, so gibt es dafür andere Möglichkeiten. In anderen Bereichen, wie z.B. der Luftfahrt, erfolgt die Gewährleistung ausreichenden Trainings durch Zertifizierung. Im Gegensatz zur Lizenzierung, die durch den Staat erfolgt, wird die Zertifizierung durch die jeweilige Branche vorgenommen. Der Staat garantiert der Öffentlichkeit die Sicherheit einer Branche und den fairen Zugang zu ihr; die Zertifizierung durch die jeweilige Branche sorgt dafür, dass diejenigen, die darin arbeiten, über die von ihr als essenziell erachteten Kompetenzen verfügen. Während der Staat das öffentliche Interesse wahren soll, besteht seine Hauptfunktion in Wirklichkeit darin, für wettbewerbsorientierte, möglichst niedrige Preise zu sorgen. Das hat aber nicht bessere oder ethischere Praktiken, sondern einen Unterbietungswettlauf zur Folge, da die Firmen der jeweiligen Branche vor allem um Kostenreduzierung bemüht sind, um konkurrenzfähig zu bleiben, was nie der Erbringung der besten Leistung für den/die KlientIn zugute kommt.
Ein weiterer Vorteil des Zertifizierungsmodells der Luftfahrt ist eine gestaffelte Qualifikation. In der Luftfahrt qualifiziert eine gewisse Anzahl an Flugstunden PilotInnen für bestimmte Arten von Flügen, für andere hingegen nicht. Mit dem zunehmenden Erwerb von Flugzeit und dem Fliegen unterschiedlicher Flugzeuge wächst der Umfang des Zertifikats. In der Architektur würde das frischen AbsolventInnen von Architekturstudiengängen die Möglichkeit bieten, sich für Arbeiten in einer bestimmten Größenordnung zu qualifizieren, so dass sie von BauherrInnen in einem früheren Stadium ihrer Berufslaufbahn angeheuert werden können, was für beide von Vorteil ist (frühere Autonomie für den/die ArchitektIn; ein weniger einschüchternder Name für den/die BauherrIn). Und die Kosten (und Stunden) für den Erwerb der Lizenz fallen weg! Die Prüfungen, der geringe Lohn während der Praktika, die Tutorien – all diese ökonomischen und psychologischen Bürden werden über Bord geworfen und es bleibt mehr Zeit für die Arbeit, die wir gerne machen, die Community, die wir unterstützen möchten, die Familie, mit der wir Zeit verbringen wollen.

 

3. Horizontale Allianzen
Eine der Hauptfunktionen einer Lizenz ist die, andere ohne die „richtige“ Ausbildung von einem bestimmten Zuständigkeitsbereich auszuschließen. Aber die Wände, die andere Disziplinen davon abhalten, in eine bestimmte Branche einzudringen, schließen auch die Branche selbst ein. Kritisiert Sarfatti Larson den Professionalismus von links, so kritisieren ihn andere wie Richard und Daniel Susskind von rechts, wenn sie sagen, dass unsere „Wissensökonomie“ den disziplinenübergreifenden Austausch von Kenntnissen und Innovationen erfordert.[4] In der Architektur bedeutet das Ausschließen von Baufirmen, InnenarchitektInnen, IngenieurInnen, LandschaftsarchitektInnen, DesignerInnen und BauzeichnerInnen die Unfähigkeit, einfache und produktive Allianzen zu bilden. In New York muss ein Design-Build-Unternehmen aus zwei Firmen bestehen: einem Planungsbüro und einem Bauunternehmen. Ebenso müssen auch Entwickler-ArchitektInnen zwei separate Rechtsträger unterhalten. Dazu kommt, dass eine in einem Bundesstaat lizenzierte Firma nur dann in einem anderen arbeiten kann, wenn es mit ihm ein Gegenseitigkeitsabkommen gibt.
Die Abkehr von Gesetzen, die für uns klar umgrenzte Bereiche abstecken, hat ebenso mit Psychologie wie mit Recht zu tun. Es gibt Bereiche, die wir gegenwärtig als unter unserer Würde empfinden, die uns aber mehr Überblick, mehr Glaubwürdigkeit und ein höheres Einkommen verschafften, würden wir uns nicht selbst beschränken. So wären etwa ArchitektInnen, die mit dem BIM-Modell arbeiten, kraft ihrer tieferen Kenntnis des real existierenden Gebäudes logische Manager für dessen Instandhaltung nach dem Bezug. Das ist nicht nur eine weitere Einkommensquelle, sondern auch ein Zeichen für die BauherrInnen, dass uns ArchitektInnen etwas am langfristigen Funktionieren des Gebäudes liegt.

 

4. Genossenschaftsbildung
Angehörige einer Profession dürfen in den USA keine Genossenschaft – eine im Besitz der MitarbeiterInnen befindliche und von diesen geführte Firma – bilden, weil die staatlichen Lizenzierungsbehörden voraussetzen, dass die Belegschaft einer Firma aus lizenziertem und unlizenziertem Personal besteht, weshalb sie den MitarbeiterInnen keinen gleichen Status zuerkennen. Dagegen stehen viele europäische Länder, die über eine robuste sozialistische, kommunistische oder anarchistische Vergangenheit verfügen, selbstverwalteten Betrieben offener gegenüber. Genossenschaften sind mehr als die Vereinbarung, zusammenzuarbeiten; es sind juridische Personen mit bestimmten, auf gewissen Prinzipien beruhenden Betriebsstrukturen: freiwilliger und nicht-diskriminatorischer Mitgliedschaft; gleichberechtigter Mitbestimmung; Beteiligung der GenossInnen an den finanziellen Mitteln und demokratische Kontrolle derselben; transparente demokratische Entscheidungsfindung; und Zusammenarbeit auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene zur Förderung ökonomischer Demokratie.
In den USA sind Architekturbüros, die sich genossenschaftlich organisieren wollen, gezwungen, das Verbot professioneller Genossenschaften mit Behelfslösungen zu umgehen, was zeitaufwendig und kostspielig ist, weil es allerlei juristischer Winkelzüge bedarf, ein nicht-wettbewerbsorientiertes Geschäftsmodell in wettbewerbsfördernde Antitrustgesetze zu pressen. Aber selbst in Ländern, die weniger Angst vor Genossenschaften haben, ist der kooperative Zusammenschluss von Profis – vor allem in Branchen wie der Architektur, die das individuelle Genie privilegieren – mit ideologischen Widerständen konfrontiert. Kleine Architekturbüros, die überall auf der Welt denselben Kräften der Amalgamierung und Homogenisierung unterliegen, die Kleinbetrieben seit jeher zusetzen, können nur dann gewinnen, wenn sie Ressourcen, Personal, Wissen, Material gemeinsam nutzen, Buchhaltungs-, Beratungs-, Anwalts- und Versicherungskosten teilen. Vor allem aber widersetzen sich Genossenschaften allen drei Entfremdungsformen der ArbeiterInnenschaft, die der Kapitalismus mit sich bringt: Entfremdung von der eigenen Arbeit, Entfremdung von den ArbeitskollegInnen und Entfremdung von sich selbst, indem die Arbeit vom Gefühlsleben getrennt wird.

 

5. Gewerkschaftliche Organisation
Gewerkschaften unterliegen nicht den Antitrustgesetzen; sie sind eine legale Möglichkeit, über Honorare und Löhne zu sprechen. Zwar sind darin nur abhängig Beschäftigte organisiert, aber die Realität in der Architektur, wenigstens in den USA, sieht ohnehin so aus, dass ¾ von uns keine FirmeninhaberInnen oder -leiterInnen, sondern Angestellte sind. Wenn wir an einem Beruf interessiert sind, der sich „professionell“ verhält – faire Honorare und Löhne, rechtskonforme Arbeitspraktiken, humane Arbeitsbedingungen, klare Beförderungsrichtlinien, Respekt vonseiten der ArbeitgeberInnen bietet – und den Wert unserer Arbeit und unserer Expertise würdigt, sind Gewerkschaften eine Alternative zu berufsständigen Organisationen. Wer meint, dass Gewerkschaften für „Professionen“ nicht infrage kommen, liegt falsch. Ärzte in den USA bekämpfen mithilfe von Gewerkschaften Versicherungsgesellschaften, und Turnusärzte streiten damit für humane Arbeitszeiten; auch Anwälte, die für die Legal Services arbeiten, sind gewerkschaftlich organisiert. Wer meint, Gewerkschaften seien nichts für Kreative, schaue nach England, das mit der Artists’ Union England (AUE) die erste KünstlerInnengewerkschaft besitzt (und so der Gruppe die Macht verleiht, Arbeitsbedingungen zu verbessern und sich gegen unfaire Bezahlung zu wehren). Und in den USA sind die Screen Actors Guild (die der Ausbeutung von bei großen Studios unter Vertrag stehenden Hollywood-SchauspielerInnen ein Ende setzt) und die Writers Guild of America (die für ihre Mitglieder Honorare, Arbeitsbedingungen, Krankenversicherung und Pensionen aushandelt) nur zwei von vielen Beispielen für die Bildung von Gewerkschaften im Kreativbereich.

San Precario: Prayer from Precarious Architectural Workers
© Peggy Deamer

6. Das negative Bild von ArchitektInnen in der Öffentlichkeit überwinden
Die Öffentlichkeit hat ein schizophrenes ArchitektInnenbild. Einerseits finden es Leute wirklich cool, wenn man sagt, man sei ArchitektIn: Sie wollten immer selbst eine/r sein, und sie bewundern einen für die Dreierwette auf künstlerische Tätigkeit, gute Bezahlung und Bildung. Kommen sie aber andererseits einmal in die Lage, einen Architekten oder eine Architektin zu engagieren, denken sie vor allem: „teuer“, „unnötig“, „nur an der Verwirklichung der persönlichen Vision interessiert“, „hört nicht zu“ und sorgt ohnehin nur dafür, dass das Gebäude undicht ist. Sie haben auch eine seltsame Vorstellung davon, was wir tun. Vielen gebildeten Leuten ist nicht klar, dass wir keine ImmobilienentwicklerInnen sind; nein, wir haben nicht diese bleistiftdünnen, superhohen Wohntürme ins Leben gerufen. Andere wieder meinen, wie es meine Schwester ausdrückt, wir verbrächten unsere Zeit damit, „uns zwischen eckigen und runden Fenstern zu entscheiden“. Kurzum: Beim Wort „ArchitektIn“ denkt man an nichts Reales und nichts Hilfreiches. Man möchte fast meinen, die Leute würden mehr Fragen stellen, wenn sich, wie in Schweden, jede/r ArchitektIn nennen kann. In welcher Größenordnung arbeitet man? Wo und wie wurde man ausgebildet? Arbeitet man umweltbezogen? privat? etc. Sie würden wissen wollen, ob man eher der/die Tischler-ArchitektIn oder der ausgefallene Typ ist, ob man ein/e sozial motivierte ArchitektIn ist oder der Typ, der auf Nachhaltigkeit setzt. Mit anderen Worten: Es würden Fragen gestellt, die mehr mit der Sache zu tun haben und nicht mehr auf Mythen und Vorbehalten beruhen.

 

Conclusio: Der Fall Schweden. All diese Argumente lassen sich mit der Organisation der Architektur in Schweden stützen. Wie schon erwähnt, benötigen ArchitektInnen in Schweden keine Lizenz; ein/e InstallateurIn kann sich dort ArchitektIn nennen. Interessanterweise verdienen schwedische ArchitektInnen einer europäischen Umfrage zufolge am meisten; es gibt also keinen Zusammenhang zwischen Lizenzierung und Bezahlung. Aber das ist noch nicht alles. Die Swedish Association of Architects (SAA), das schwedische Äquivalent der AIA oder des RIBA, ist eine Gewerkschaft, kein Berufsverband. Sie ist überdies eine Gewerkschaft von ArbeitnehmerInnen, kümmert sich also um die architektonische Arbeit, nicht das Erzielen von Profiten. (Die ArbeitgeberInnen gehören einer anderen Vereinigung an, die aus professionellen FirmeninhaberInnen verschiedener Branchen besteht.) Da Gewerkschaften in das politische System eingebunden sind, verfügt die SAA auch über Macht im Parlament. Vielleicht liegt es gerade am Fehlen der Lizenzierung, dass der Architekturausbildung in Schweden größeres Gewicht zukommt, als man meinen würde. Die Architekturausbildung (und ihre Zulassung), nicht die Lizenzierung dient als Kompetenzbeweis, als Beleg, dass man tatsächlich mehr weiß als der/die InstallateurIn. Und da der Staat ein Interesse an dieser Kompetenz hat – weil seine Wirtschaft auf innovativer Technologie beruht und weil er einmal Auftraggeber für die meisten ArchitektInnen sein wird –, stattet er Universitäten mit beträchtlichen Mitteln für zukunftsweisende Ansätze und Architekturbüros für Forschungsstipendien aus. Das bedeutet, dass die tatsächlich Architekturtreibenden diejenigen sind, die die Richtung der Disziplin bestimmen. Die Folge ist eine große Offenheit für innovative Formen der Auftragsvergabe. Eines Tages werden andere Länder vielleicht ebenso aufgeklärt sein wie Schweden. Als gewerkschaftlich organisiertes Land ist es beispielgebend auch für Bereiche jenseits der Lizenzierung von ArchitektInnen. Bis dahin können wir mit dem beginnen, was wir als ArchitektInnen (wirklich) kontrollieren können: der Deprofessionalisierung. ■

 

Übersetzung: Wilfried Prantner



[1] Die allgemeinen Aussagen aus der englischsprachigen Wikipedia wurden im Deutschen paraphrasiert und daher nicht als Zitate gekennzeichnet (A.d.Ü.).

[2] Larson, Magali Sarfatti: The Rise of Professionalism: Monopolies of Competence and Sheltered Markets, New Brunswick, NJ 2013, xiii.

[3] US Department of Labor, „Fact Sheet #17D: Exemption for Professional Employees Under the Fair Labor Standards Act (FLSA)“, www.dol.gov/whd/overtime/fs17d_professional.html (Übers. W.P.).

[4] Vgl. Susskind, Richard/Susskind, Daniel: The Future of the Professions: How Technology Will Transform the Work of Human Experts, Oxford 2015, sowie Susskind, Daniel: A World Without Work: Technology, Automation, and How We Should Respond, New York 2020.