Das Arbeiten im Eis weckt Assoziationen einer waghalsigen Expedition in ein unwirtliches Draußen. Es stellt sich die Frage, ob und mit welchen Parametern in einer solchen Situation Raum entsteht? Lässt sich damit in der Architekturpraxis eine andere Arbeitsweise entwickeln, die übertragbar wäre auf weitere Orte und Aufgaben? Das aus dem Künstleratelier von Olafur Eliasson hervorgegangene Studio Other Spaces widmet sich diesen Fragen. Es erweitert das etablierte architektonische Vokabular, um Grenzen zu verschieben und im Wissen, dass sich Aufgaben auch auf eine andere als die herkömmliche Art und Weise lösen lassen. Dabei realisiert das Studio unter der Leitung des Künstlers Olafur Eliasson und des Architekten Sebastian Behmann seinen eigenen forschenden Zugang zu den Dingen in der Welt. Studio Other Spaces begibt sich mit seinen Entwürfen auf unbekanntes Terrain und formuliert in diesem Umgang mit dem Unvorhersehbaren die eigene Stärke. Im Gespräch erläutert Sebastian Behmann am Projekt des Ilulissat Icefjord Parks den Unterschied, den Studio Other Spaces machen will, obwohl (oder gerade weil) der Wettbewerb um das Projekt im Eis nicht gewonnen wurde.
GAM: Herr Behmann, Sie nennen sich Studio Other Spaces. Wovon grenzen Sie sich dadurch ab? Gibt es Räume, mit denen Sie nichts zu tun haben wollen?
SB: Wir sehen uns nicht als klassisches Architekturbüro, sind jedoch auch kein reines Künstleratelier. Wir sehen uns eher als eine Erweiterung von beiden Professionen. Wichtig ist, dass die Entwicklung experimenteller Räume im Vordergrund steht. Wir beschäftigen uns mit Raumproduktion, zum Teil in vorgegebenen Aufgabenstellungen, zum anderen Teil aber auch unabhängig von Auftraggebern oder Auslobungen. Wir versuchen, Räume von Anfang an zu denken und zu entwickeln. Das wendet sich nicht gegen architektonische Räume im klassischen Sinne. Es gibt einfach neben den typischen Bauaufgaben einen großen Bereich, der relativ wenig wahrgenommen wird.
GAM: Sie arbeiten im künstlerischen Kontext. Wie übertragen Sie Ihre Arbeitsweise in die architektonische Dimension? Haben Sie prinzipiell einen Plan dafür?
SB: Jedes Projekt hat sein eigenes Potenzial. Zu Beginn eines Projekts fragen wir uns, was daran für uns interessant sein könnte. Wir suchen Aspekte, die wir so in der Form vorher noch nicht behandelt haben. Man greift nicht auf das zurück, was man kennt und erfüllen kann, sondern versucht, eine andere Fragestellung aufzudecken, die vorher vielleicht noch nicht gestellt wurde. In dieser Hinsicht verfolgen wir einen künstlerischen Ansatz. Das Projekt des Ilulissat Icefjord Parks in Grönland ist ein Beispiel dafür. Als wir gefragt wurden, an dem Wettbewerb teilzunehmen, stand zur Debatte: Was genau ist das Interessante an einem Icefjord Centre, an einem Besucherzentrum? Diese Besucherzentren gibt es überall auf der Welt und sind meist kommerzielle, eindimensionale Projekte. Welchen Bezug bauen diese Gebäude zu ihrer Umgebung auf? Wie wirken sie auf die Leute, die diese Gebäude betreten? Ich finde, da gibt es eine Lücke zwischen dem, was Architektur gut und gerne leistet, und dem, was wir uns vorstellen.
Architektur bezieht sich ja immer ein Stück weit auf sich selbst, auf ihre eigene Geschichte. Man hat ein gewisses Vokabular und bestimmte Elemente entwickelt, mit denen man arbeitet und gestaltet. Teil der Idee von Studio Other Spaces ist es, dieses Vokabular zu erweitern, also mit mehr als nur den klassischen Architekturelementen zu arbeiten. Damit meinen wir nicht nur das Licht – für viele schon ein klassisches Element – sondern auch Schatten, Dunkelheit, Kälte, Wind. Die ganzen Dinge, die da draußen sind, die in der Natur vorhanden sind und nicht unbedingt als Gestaltungsmittel von Architekten aufgegriffen werden. Diese Phänomene versuchen wir als architektonische Werkzeuge zu benutzen. Was passiert da, wie nehmen wir Menschen das mit unseren Augen wahr? Manchmal sind die Sachen, die wir finden, viel näher an dem Ort, als die Sachen, die man aus seiner klassischen Architekturerfahrung mitbringt. Wenn man z.B. in Grönland bauen soll und dafür den Ort besucht, bei minus 15 °C durch den Schnee stapft, ist da nichts.
GAM: Da ist Eis, oder?
SB: Ja, Eis.
GAM: Wie sieht das Eis dort aus?
SB: Es gibt unglaublich viele Schattierungen von Eis. Wir haben uns zuerst einmal Filme über Eis angesehen, insbesondere über den Eisfjord, wie die Gletscher abbrechen und ins Meer stürzen. Die Eisberge sind zum Teil fast hundert Meter hoch – der berühmte „tip of the iceberg“. Das hei.t, dass es ungef.hr 800 Meter hinunter in den Fjord geht. Dieser ist siebzig Kilometer lang und ungef.hr einen Kilometer tief. Am Ende dieses Fjords liegt Ilulissat, wo das Icefjord Centre entstehen soll. Die Eisblöcke laufen auf, weil das Wasser dort nur mehr 300 Meter tief ist, und die Eisberge stauen sich dort. Es ist einfach voller Eis, das ist wirklich unglaublich. Wir sind als einziges Team vorher hingefahren. Der Punkt, worauf ich hinauswill, ist: Man hat es hier mit Dingen zu tun, die absolut überwältigend sind. Man hat als Nordeuropäer, der in Berlin lebt, die Schwierigkeit, eine Beziehung aufzubauen zu dem, was man da sieht. Man versteht den Maßstab nicht mehr, die Radikalit.t dieser Gegend, in der es im Sommer nicht dunkel und im Winter nicht hell wird. Man sieht Dinge, die man nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen kann. Wir verstehen mit Studio Other Spaces Gebäude und Kunstwerke als eine Möglichkeit, eine Beziehung zu einem Ort aufzubauen.
GAM: Braucht der Mensch in der Natur also die Architektur, um eine Beziehung zu seiner Umwelt zu schaffen?
SB: Ich glaube, dass der Normalbesucher in Grönland in jeder Hinsicht hilflos ist. Er würde sich verlaufen, er würde erfrieren, er hätte nichts zu essen. Er wäre komplett überfordert, nicht nur mit der physischen Existenz – auch mit dem, was er erlebt. Wir haben uns gefragt: Mit welchen Mitteln, mit welchen Architekturen können wir den Besuchern eine Unterstützung bieten? Wie kann man eine Erfahrung vermitteln, die dem gerecht wird, wo sich der Besucher befindet? Es war klar, dass wir mit dem arbeiten müssen, was da ist. Wir können nicht mit vorgefertigten Architekturideen arbeiten – nicht mit Fenstern, Wänden und Türen. All die Dinge gibt es in dieser Welt am Fjord überhaupt nicht und haben in der Form dort auch nichts zu suchen. Das Wichtigste ist eigentlich das Eis.
In dem Sinne benötigen wir keine klassischen Gebäude in Ilulissat, sondern eigentlich einen Park, so eine Art domestizierte Natur. Ein Park vermittelt viel einfacher und unmittelbarer zwischen Mensch und Natur. Es ist der einfachste Schritt, um den Menschen Natur näher zu bringen oder eine Verbindung zu schaffen zwischen einem unglaublichen Naturerlebnis, das etwas sehr Abstraktes ist, und einem konkreten Erleben. Das heißt dann auch nicht mehr Visitor Centre, sondern Icefjord Park. In anderen Besucherzentren hat vieles mit Design zu tun. Das vermittelt dem Besucher nicht unbedingt, dass er gerade in Grönland, in Ilulissat, an diesem unglaublichen Eisfjord ist. In so einer Extremsituation wie in Grönland kommt Architektur an ihre Grenzen, wenn man sie nicht anders denkt.
GAM: Gehen alle ihre Projekte an so eine Grenze?
SB: Wir versuchen das, ja.
GAM: Ihre Arbeitsweise hört sich nicht nach architektonischen Standardlösungen an. Haben Sie nicht manchmal Lust auf einen ganz normalen Wohnungsbau oder eine super Tiefgarage?
SB (lacht): Doch. Nachdem wir den Wettbewerb dann nicht gewonnen haben, frage ich mich schon, warum wir nicht manchmal lieber nur einfache Häuser bauen.
Letztendlich ist es aber für uns und unser Studio immer existenziell, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wir setzen früher an als da, wo Architektur normalerweise beginnt. Was wir entwerfen, ist das Ergebnis unserer Recherche. Wir kommen damit näher an das, was der Ort hergibt und können durch unsere Arbeitsweise auch Themen aufgreifen, die komplexer sind. Es ist eine sehr detaillierte Analyse, die dem Entwurf vorausgeht und ausschließt, was nicht zur Recherche passt. Im Endeffekt ist es nur eine Frage der sorgfältigen Durcharbeitung der Dinge, damit sie dann auch gut gestaltet und stimmungsvoll sind.
Aufgrund unserer Geschichte – als Künstlerstudio haben wir eine gewisse Haltung – ist das inzwischen unsere Rolle. Ich sehe das in keiner Weise als Kritik an dem, was in der Architektur passiert, sondern als ein Extra. Wir können Dinge bearbeiten, die für andere Büros schwieriger sind, weil sie sich in einem anderen Feld bewegen. Unsere Arbeiten sind in erster Linie als Wahrnehmungsmaschinen zu sehen. In dem Sinne nutzen wir die Architektur. Für uns ist sie Mittel zum Zweck, unser Werkzeug. Sie hilft einem, bestimmte Dinge besser zu verstehen und bestimmte gesellschaftliche oder kulturelle Konstrukte zu hinterfragen.
GAM: Wie simulieren und kommunizieren Sie Ihre Vorstellungen von Raum, und an wen richten Sie sich damit?
SB: Wir benutzen alles – Handskizzen, digitale 3D-Zeichnungen, Visualisierungen, Arbeitsmodelle, 3D-Drucke, größere, komplexe Modelle bis 1:5 und Prototypen. Wir machen Lichtsimulationen – ähnlich wie Ingenieure – und überprüfen die Wirkung der Räume seit neuestem auch mit Virtual Reality.
Für den Ilulissat Icefjord Park war es für den Entwurfsprozess ausschlaggebend, dass wir mit dem Eis experimentiert haben. Wir haben 1500 Kilogramm Eis aus Grönland in einem Kühlcontainer ins Studio gebracht. Wir haben konkret getestet, welche Gestaltungsmöglichkeiten man hat, wenn man Eis als Schalungsform für Beton nutzt. Die Idee für das Projekt war, das Eis aus dem Fjord zu nehmen und es abzuformen. Das Eis schmilzt aus und der Besucher steht dann in dem Raum, der vorher Eis war. Dadurch ist die Erfahrung möglich, Dinge zu sehen, zu spüren, die man sonst nicht sieht und auch nicht erfahren kann. Näher kann man dem Eis gar nicht sein. Das ist eine Negativraumerfahrung, die wir von Steinhöhlen und Kirchen kennen. Dieser Bezug zwischen dem Raum selbst und dem Material, aus dem er geschaffen wurde, ist sehr außergewöhnlich. In der Form ist die Erinnerung an das Eis vorhanden.
Es gibt natürlich auch Architektur. Die fängt an, wenn man die Dinge positioniert und Beziehungen aufbaut. Deshalb gibt es eine sehr sorgfältig entwickelte Dramaturgie: Was passiert, wenn ich ankomme? Was sehe ich zuerst? Was sehe ich als Nächstes? Ich gehe hinunter zum Fjord, erlebe das Eis, komme wieder zurück. Ich bin überwältigt, ich bin durchgefroren, ich fühle mich wirklich klein. Ich komme in eine Architektur, die diese Stimmung aufgreift und weiterstrickt. In diesem Sinne gibt es dann auch genau einen richtigen Ort und die richtige Architektur für das Gefühl: „Jetzt stehe ich in irgendwas, was ich gerade draußen gesehen habe.“ Im nächsten Moment sieht man durch eine Öffnung in der Fassade die Eisberge im Eisfjord. Solche Momente müssen sehr gut getaktet sein, und die Stimmung darf nicht abreißen.
Nach Grönland zu fahren ist eine Expedition. Viele Leute, die da hinkommen, fühlen sich wie kleine Nansens. Das hat ja etwas. Die Narration fängt also dann an, wenn man in einem Reiseprospekt oder in einem Buch den Ort sieht und dort hin will. Dies baut eine gewisse Erwartung auf, und wir spielen mit dieser Narration. Deswegen betritt man nicht als Erstes ein Gebäude, sondern einen Park, man bewegt sich in dieser Landschaft. Der Park beherbergt verschiedene Elemente, die auf ausgesuchte Situationen vor Ort reagieren: der Ice Void als Ausstellungsgebäude zum Thema Eis und der Sun Cone, der sich mit dem Verlauf der Sonne beschäftigt, als Besucherzentrum. In der Jahreszeit mit der höchsten Besucherzahl geht die Sonne gar nicht unter, und die Leute wollen genau das erleben.
GAM: Das wirkt für mich wie ein Konflikt: die Übergabe der Formgebung an einen Prozess wie das Schmelzen von Eis und gleichzeitig bestimmen Sie, wie Sie sagen, sehr präzise die Beziehung zwischen Innenraum, Mensch und Außenwelt. Wie verträgt sich das?
SB: In dem Park gibt es im Wesentlichen zwei Gebäude. Wir unterscheiden zwischen einem Teil, der ätherisch mit der Erde, der Atmosphäre, der Sonne, dem Licht zu tun hat, und dem anderen Teil, der geheimnisvoller ist und sich mit dem Eis beschäftigt, das zu neunzig Prozent unter Wasser ist. Man kann nur ahnen, wie es in diesem Eisfjord unter Wasser aussieht. Die Räume zwischen den Eisbergen in 800 Meter Tiefe haben etwas sehr Mystisches und Geheimnisvolles. Das wollten wir vermitteln: Wie fühlt sich das an? Was ist das eigentlich? Welche eigene physische Beziehung kann ich zu dem Eis und zu so einem Raum aufbauen?
GAM: Das ist die klassische Architekturarbeit?
SB: Ja. Da kommt es auf Details an, ob ein Volumen in einer Granitfelslandschaft gut oder schlecht aussieht. Die Tatsache, dass wir andere Gestaltungsmittel suchen, hei.t nicht, dass wir auf die Qualität in deren Nutzung verzichten können. Genauso ist es, wenn wir die Eisblöcke aussuchen oder überlegen, wie diese liegen und damit Volumen schaffen. Da ist natürlich ein Gestalten dabei – nur mit anderen Mitteln.
GAM: Sie stellen die Welt aus, kann man das so sagen?
SB: Mit dem Ice Void-Gebäude wollen wir die Geschichte des Eises erzählen, des eisigen Grönlands, was auch irgendwie etwas Romantisches hat. Es gibt einen Caspar-David-Friedrich-Blick auf den Eisfjord (Abb. 6) und auf der anderen Seite ist da die Sonne, die nicht untergeht. Die Idee des Sun Cone-Gebäudes unterstützt ein 360-Grad-Naturerlebnis. Zudem gibt es noch die Geschichte der Temperatur: Draußen ist es unglaublich kalt, aber im Innenraum relativ warm. Der Sun Cone nutzt in geschickter Weise die Sonnenenergie und thematisiert diese Energienutzung auch in Bezug auf die Erderwärmung – ein Thema, das viele Leute beschäftigt, die nach Grönland reisen.
GAM: Warum haben Sie Ihrer Meinung nach den Wettbewerb um das Ilulissat Icefjord Projekt nicht gewonnen?
SB: In erster Linie haben wir nicht gewonnen, weil eine andere Idee überzeugender war. Es ist nie einfach mit unseren Entwürfen, diese sind immer mit einer Diskussion über Grundsätzliches verbunden. Auf der anderen Seite haben wir bis jetzt alle Studioprojekte auf höchstem Niveau realisiert. Es ist nur ein längerer Weg, dort hinzukommen. Nicht alle sind bereit, diesen komplexeren Weg mit uns zu gehen.
GAM: Was bleibt von dem Ilulissat Projekt, obwohl es nicht realisiert werden wird?
SB: Die meisten Leute unterschätzen, wie viel Ingenieursdenken tatsächlich bei uns im Studio stattfindet und wie sehr wir uns über die Jahre ein hohes Maß an Wissen angeeignet haben, vor allem über Materialien, über deren Verwendung und Tauglichkeit. Dieses Wissen erhält man auch durch Missgeschicke, durch Dinge, die kaputt gegangen sind oder nicht funktioniert haben. Wir haben uns ein sehr spezifisches Wissen aufgebaut über die Dinge, die uns interessieren und mit denen wir umgehen. Das ist unser Kapital. Selbst wenn eine künstlerische Idee in einem Projekt nicht realisiert werden kann, bleibt uns doch das Wissen und die Erfahrung, um sie in einem anderen Kontext weiterzuentwickeln.
Auf alle Fälle bleibt die Beschäftigung mit der Geschichte Grönlands, der Geschichte der Inuit und der Rolle Grönlands in Europa, ein beeindruckendes Erlebnis. Wir haben uns intensiv mit den Handelsbeziehungen zwischen Europa und Grönland auseinandergesetzt, weil wir für unsere Preiskalkulation keine grönländischen Preise ansetzen konnten. Wir mussten für jede Schraube, jede Glasscheibe errechnen, wie viel mehr der Transport kostet und wie viel mehr es für eine Firma kostet dort zu bauen. Wir mussten also wie ein Bauunternehmer denken, um die Preise real zu kalkulieren. Grönland hat so etwas von einer Kolonie, da es Bodenschätze gibt und großes wirtschaftliches Interesse, dort aktiv zu sein. Die Erfahrung dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema ist das, was bleibt. Es ist immer ein Anlass, ein gutes Gespräch zu führen, wenn man so ein extremes Projekt hat. Wir sind stolz darauf, dass wir mit Eis gebaut haben, das haben ja noch nicht so viele gemacht. Dinge selbst zu machen, das bleibt.
CG: Olafur Eliasson, Ihr Partner bei Studio Other Spaces, erklärt in einem Interview1, dass es für ihn keinen Unterschied zwischen Modellen und realen Kunstwerken gibt. Welches Verhältnis zeigt sich für Sie in der Architektur zwischen Modell und Realität?
GAM: Für mich fängt der Prozess mit dem Entwerfen und mit dem Bauen der ersten Modelle an. überall im Studio stehen Einzelteile, Tests und Mock-ups, die im Zuge dieser Arbeit entstanden sind. Diese inspirieren uns und inspirieren andere Leute. Das sind Dinge, die sind in der Welt, die bewegen etwas. Wir haben uns bei dem Ilulissat Icefjord Park intensiv mit der Realisierbarkeit auseinandergesetzt. Wir mussten genau Auskunft darüber geben, wie wir das umsetzen wollten. Deshalb haben wir in der allereinfachsten Form mit Stampfbeton große Modelle gebaut. Der Prozess des In-die-Welt-Bringens an sich ist kreative Arbeit. Man klopft die Grundidee auf ihre Überlebenschancen in der Welt ab. Es braucht eine robuste Umsetzungsweise, damit das Ganze in der Realit.t Erfolg hat. Die Reibung ist in den allermeisten Fällen eine Bereicherung an Komplexität und Tauglichkeit. Was wir überhaupt nicht wollen, ist etwas in die Welt zu setzen, das nicht lebensfähig ist oder als Entwurf nicht funktioniert.
GAM: „In-die-Welt-Bringen“, ist das das Interessante für Sie in der Architektur?
SB: Wirklich gute Entwürfe zu machen, heißt, alle Bälle in die Luft zu werfen und dann zu sehen, was man daraus machen kann. Man ist als Architekt dafür ausgebildet, komplexe Dinge nicht-linear lösen zu können. Das ist interessant. Sehr viele andere Berufsgruppen, die immer durch spezifisches Wissen Lösungen finden, haben in der Gesellschaft großen Einfluss. Nicht ein einziger Architekt hat aktuell eine führende Rolle in der Gesellschaft, obwohl eigentlich das Denken der Architekten prädestiniert dafür wäre. Linearlösungen können ja viele.
Und das Andere ist, dass Architektur sich viel, viel mehr damit beschäftigen muss, wie sie sich selbst kommuniziert. Das haben wir im Studio Olafur Eliasson gelernt. Nicht umsonst arbeitet ein großes Team in der Kommunikationsabteilung, um die Geschichten, die wir erzählen, sehr genau zu vermitteln. Da gibt es erhöhten Bedarf, das zu kommunizieren, was man sich räumlich vorstellt. Das ist auch ein Unterschied, den das Studio Other Spaces macht: Es gibt nicht das Projekt und die Kommunikation, sondern die Kommunikation und das Projekt sind eigentlich eins. Ilulissat noch einmal: Angela Merkel und andere führende Politiker fahren dort hin, das Icefjord Centre erhält dadurch eine unglaublich mediale Position. Das ist der Ort, wo Klimapolitik visualisiert wird. Dort werden die Bilder gemacht, die um die Welt gehen. Es ist hochspannend für uns, Teile einer solchen medialen Realität zu entwickeln. In dem Sinne ist Architektur mehr und mehr Kommunikation bzw. eine andere Form von Kommunikation, da die Räume nicht unbedingt nur physisch erfahren werden. Manchmal sind es nur Bilder, die man produziert. Es ist spannend, sich mit Räumen als Narration und als einer Abfolge von Sequenzen zu beschäftigen. Das Narrative ist etwas, was im Prinzip – glaube ich – nicht mehr aus der Architektur herauszuhalten ist.
GAM: Vielen Dank für das Gespräch.
1 Vgl. Eliasson, Olafur: „Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen den Modellen, die wir in unserem Studio anfertigen, und den ausgeführten Bauten. Ein Kunstwerk ist immer auch ein Modell; es ist einfach eine Idee oder ein Vorschlag, wie wir die Welt erleben können“: In „talk to me“ anlässlich der Ausstellung „Take Your Time: Olafur Eliasson“, 2008–2009, online unter: http://www.moma.org/interactives/redstudio/talktome/eliasson/?URL=5 (Stand: 4. August 2016)