GAM 19

Editorial
Wie man ein Profi wird

Anne Femmer, Alex Lehnerer, Florian Summa

Profi-SportlerInnen werden bezahlt fürs Sporttreiben. Sie sind sogar vertraglich dazu verpflichtet. Und zu noch viel mehr. Sie dürfen keine andere Sportart betreiben, bei der sie sich verletzen könnten; sie haben Werbeverträge, dürfen nur Schuhe einer bestimmten Marke tragen und müssen stets vorsichtig sein, wie sie sich in der Öffentlichkeit verhalten. Profis sind keine Privatleute. Sie repräsentieren ihren Berufszweig, ihr Unternehmen, ihren Verein, einen moralischen Kodex. Immer. So hat der Sportvorstand eines ziemlich berühmten Fußballklubs neulich einen ziemlich berühmten Spieler öffentlich gerügt, weil dieser an seinem freien Tag, einem Sonntag, zu einer ziemlich berühmten Veranstaltung nach Paris geflogen ist. Mit den Worten: „Das ist amateurhaft. Das ist genau das, was ich nicht mag […]: Irgendwo rumzuturnen, wenn man einen freien Tag hat.“[1]

Also eigentlich traumhaft, für das bezahlt zu werden, was man gerne tut, für das man ein gewisses Talent hat. „Eigentlich“ – ein Wort, das Profis nicht benutzen. Für Profis gibt es Gewissheit, keinen Ermessensspielraum. Aber können wir denn nicht nur manchmal Profis sein? „Manchmal.“ Noch so ein Wort, welches sich dem Professionellen entzieht. Geht nicht. Entweder-oder. Aber dann lasst uns doch vielleicht professionelle AmateurInnen sein! Vielleicht. Ihr merkt schon, dies wird kein professionelles Editorial mehr. Profi zu sein, geht einher mit Verpflichtungen, Ansprüchen und an uns gestellte Erwartungen.

Wobei, es wäre doch schön, könnten wir von Fall zu Fall entscheiden. Vielleicht die Entscheidung auch von unserem Gegenüber abhängig machen? Und von dem, was wir gerade tun? Wenn wir in Paris rumturnen, sind wir in dem Moment eben keine Profis, aber wenn wir mit anderen, beispielsweise HandwerkerInnen, auf dem Gerüst der heimischen Baustelle rumturnen, dann schon. Hier gibt es auch kein „eigentlich“, kein „vielleicht“ oder „manchmal“. HandwerkerInnen erwarten von uns Sachkenntnis, Lösungsorientierung, Überblick (und dass wir gleich stolpern und vom Gerüst fliegen).

Profi sein, ist eine relative, kontextuelle Eigenschaft. Eine gegenseitige zeitweilige Einschätzung von dem, was man von seinem Gegenüber erwarten und verlangen kann. Nun sind die landläufigen Erwartungen und Zuschreibungen an uns ArchitektInnen allerdings hochgradig widersprüchlich: Mit den Worten von Sam Jacob, „haben wir gleichzeitig Michelangelo und Klempner zu sein.“[2] Dieses Schwingen zwischen grenzenloser Freiheit und den Forderungen eines 125er-Schmutzwasserrohres macht sowohl den Reiz als auch die Schwierigkeit unserer Arbeit aus.

Nur so gleichzeitig, wie Sam das formuliert, ist die Sache nicht. Nicht, wenn wir uns professionell organisieren. Le Corbusier soll morgens gemalt und nachmittags gezeichnet haben.[3] Trotzdem: als professionelle AmateurInnen üben wir als ArchitektInnen gleich mehrere Berufe in Personalunion aus. Wir sind JuristInnen, wenn wir mit dem Bauamt sprechen, HandwerkerInnen auf der Baustelle. Auch BauphysikerInnen. KünstlerInnen und PhilosophInnen beim ersten Bauherrengespräch, ManagerInnen und PsychologInnen beim zweiten und ÖkonomInnen und BuchhalterInnen beim letzten. Und ganz zum Schluss noch VermarkterInnen unserer selbst. All diese Dinge professionell abzudecken ist unmöglich. Also was tun?

Der Rat vom Profi lässt nicht lange auf sich warten: konzentriere dich, spezialisiere dich! Schränke dein Feld so weit ein, bis du das Gefühl hast, du kennst Dich aus. Haben wir uns einmal eingeschränkt, überblicken wir das Feld (weil es jetzt so schön klein ist), und werden in diesem zum Profi. Das erzeugt das gute Gefühl von Sicherheit. Die grenzenlose Empfindung der Überforderung verschwindet. Wir gelten schnell als ExpertInnen in unserem Metier. Wir sind dazu gefragt und können antworten. Das Problem ist nur, irgendwann werden wir zu nichts anderem mehr gefragt. Dann wissen wir gewiss, dass die Welt uns für Profis hält. Wie eine solche Spezialisierung auf das Architekturbild die Disziplin verändert und ihren Diskurs bestimmt, davon weiß Alexander Bartscher in dieser Ausgabe von GAM zu berichten. Auf den Seiten 37–46 teilt er mit uns seine Erfahrung mit architektonischen Bildwelten in der Dienstleistung des professionellen Rendering.

Und schließlich, als Profi werden wir endlich angemessen bezahlt. Mit Honoraren, die leider nicht mehr durch unsere teure, treue Kammerzugehörigkeit allgemeingültig festgelegt werden. Aber die Kammer kümmert sich sonst um all unsere professionellen Anliegen und erlaubt uns, den geschützten Titel „ArchitektIn“ zu tragen. Nur wovor muss dieser Titel eigentlich geschützt werden? Natürlich vor Leuten, die sich einfach so „ArchitektIn“ nennen, um an unsere Aufträge zu kommen; aber offiziell nicht über die nötige Eignung und Berufserfahrung verfügen.

Vielleicht würde eine schrittweise Zertifizierung, wie Peggy Deamer auf den Seiten 47– 56 ausführt, die professionelle Eignung wohl besser abbilden und auch offener gestalten können, statt einer generellen, exklusiven Lizenzierung über einen Berufsverband. Und mit der Erfahrung, das wusste schon Kurt Tucholsky, ist es eh so eine Sache: Man kann seinen Job auch 35 Jahre lang schlecht machen.

Profi zu sein, ist glücklicherweise kein lizenzierter Dauerzustand. Wollen wir immer und überall nur als ArchitektInnen wahrgenommen werden? Soll es auf der Gartenparty heißen: „Ah, da kommt der/die ArchitektIn!“ Tatsächlich geben sich Profis gerne auch privat als solche zu erkennen. Eine Déformation professionelle verändert unseren Auftritt schnell dauerhaft zu dem eines typischen Juristen bzw. einer typischen Juristin, eines Lehrers bzw. einer Lehrerin, eines Arztes bzw. einer Ärztin, eines Managers bzw. einer Managerin oder eben eines Architekten bzw. einer Architektin. Also aufgepasst!

Allerdings hat sich das Fremdbild des Architekturberufs in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Gut ist dies in seiner popkulturellen Verdauung in Film und Fernsehen zu erkennen. War die Stellung des Architekten (es waren damals auch meist männliche) in den 1980er-Jahren noch der des souveränen Bauherrn ebenbürtig (nur etwas cooler mit dem sportlicheren Auto), so werden ArchitektInnen, wie Julian Müller und Victoria Steiner in ihrem Beitrag zeigen, heute vermehrt als „moderne Subjekt[e] in [ihrer] existentiellen Geworfenheit und Einsamkeit“ dargestellt (S. 26– 36).

Profis erkennt man an ihrer Ausrüstung; und die Aussicht, mit entsprechendem Werkzeug zum Profi zu werden, ist seit jeher das ultimative Lockmittel für uns AmateurInnen. Dieses „Arbeiten, wie die Profis“ haben sämtliche Hersteller und Ausrüster, egal welcher Branche, als unschlagbaren Slogan verinnerlicht. Auch hier geht es nicht nur mittelbar um Qualitätsunterschiede (der Produkte), sondern zunächst um die exklusive Gruppenzugehörigkeit, markiert durch entsprechende Ausrüstung, jenseits dessen es nur noch „Spielzeug“ gibt. Professionalität ist Status.

Profis auf der Baustelle erkennt man am Helm; gut zu sehen in der Bilderserie “We Are Building Our Future Together” (2021) von dem Fotografen Juergen Teller in Zusammenarbeit mit seiner Frau und kreativen Partnerin Dovile Drizyte. Für ihre Hochzeitseinladung haben sie humorvolle, inszenierte Bilder in Sicherheitsausrüstung auf einer Baustelle in Neapel erstellt, die eine passende visuelle Metapher für ihre gemeinsame Zukunft und ihre berufliche Beziehung bilden (S. 81–91).

Der Status professioneller ArchitektInnen wird, neben Bürogröße oder Bauvolumen, analog definiert über das geeignete Werkzeug, nämlich die beteiligten PartnerInnen. Hier herrscht professionelle, maßgeschneiderte Arbeitsteilung. Von den TGA-PlanerInnen über die FassadenplanerInnen, TragwerksplanerInnen, KostenplanerInnen, BauherrenvertreterInnen bis zur externen Bauleitung lässt sich der gesamte Bau- und Planungsprozess mit spezialisierten Profis organisieren. Und sogar das Organisieren übernimmt die externe Projektsteuerung.

Selbst der Entwurf lässt sich professionalisieren. Zur Ideenfindung arbeiten unsere PraktikantInnen in der Modellbauwerkstatt an einer Vielzahl von Varianten; wo wir nur noch die geeignetste auszusuchen haben, sie an den/die ProjektarchitektIn zur weiteren Bearbeitung übergeben müssen, und schon gehts mit den oben genannten Profis in Richtung Baustelle. Allein die Frage, was dabei eigentlich unsere Aufgabe ist, lässt uns wiederum mit Gewissheit sagen, dass wir nun Profis sind.

Es sei denn, wir entscheiden uns dagegen, bis wir zu dem werden, was Grayson Bailey eine „Anti-ArchitektIn“ nennt (S. 10– 15), um uns wieder auf das Architektonische konzentrieren zu können, jenseits der Architektur als Institution. Von außen.

Von innen, aus dem Bauen heraus, zeigen Lena Unger und Jan Meier, wie sie sich zusammen mit ihren BauherrInnen diesem Professionalismus der zeitgenössischen Arbeitsteilung entziehen und sich so über zurückgewonnene Verantwortungen die Aufgabe des Bauens neu aneignen. Diese produktive Selbstkritik unseres Faches lässt uns die Arbeit als gegenseitiges Vertrauensverhältnis wahrnehmen. Die Aufgabe der Architektur ist dann die Verwaltung jenes Vertrauen (siehe auch Ivica Brnić, S. 122–127) zwischen BauherrInnen, NutzerInnen, PlanerInnen und Ausführenden. Aber professionell im herkömmlichen Sinn ist das nicht. Noch nicht. Den dazu nötigen Schritt, jenen der Anpassung des Baurechts und des dazugehörigen Vertragswesens, thematisiert Klara Bindl auf den Seiten 16– 25.

Sich ideologisch und traditionell gefestigten Professionalismen zu entziehen, aber damit nicht die eigene Verantwortung und das in uns gesetzte Vertrauen als ArchitektInnen zu verspielen, formuliert vielleicht die übergeordnete Position von GAM 19.

Sie wird begleitet von der Frage, wie wir aus diesen professionellen Zwängen herauskommen. Bei Lena und Jan wird deutlich, wie der Prozess des Bauens das Ergebnis verändert, und damit das selbst Hand anlegen auf der Baustelle zum kritischen Akt wird.

Eine andere Methode der Entprofessionalisierung erkennt Andreas Lechner (S. 92–105) in den bisher unveröffentlichten Vorlesungsaufzeichnungen von Günther Domenig: den unbedingten Verweis auf die persönliche Autorität und Souveränität. Als Kritik und Gegner jeder externen Kraft, sei es Kanon, oder professionelles Ritual.

Yeoryia Manolopoulou (S. 114–121) hingegen nutzt und beschreibt ein gegenteiliges Motiv mit ähnlichem Ziel. Nicht die radikale Subjektivität (wie bei Domenig), sondern der produktive Zufall wird zur Autorität im Entwurf und ermöglicht dialogische und nicht-hierarchische Resultate, die externe Konditionen zweifelsfrei in Frage stellen.

Die Beziehung der Architektur zur Gesellschaft – nicht als unmittelbar kulturelle Kraft, sondern um gesellschaftliche Probleme zu lösen – ist die professionelle, institutionelle Frage, der sich Andri Gerber (S. 74–80) widmet. Hier wird klar, dass die Architektur nicht die starke, unerschütterliche Disziplin ist, sondern ihr Diskurs sich immer auch in einer Nabelschau um die eigene Relevanz und Sinnsuche in der Welt dreht. Architektur ist eine kulturelle Praxis.

Am Ende sind wir alle Profis, jede/r auf seine/ihre Art: Profis machen beruflich, was andere als Hobby machen. Profis haben ihren eigenen Zollstock dabei. Profis werden ernst genommen. Profis sind RealistInnen: Sie kennen das magische Dreieck aus Kosten, Qualität und Zeit. Profis kennen zu jeder Vorschrift die sechsstellige Zahl der Norm. Profis sind in Berufsverbänden organisiert. Profis sind pünktlich. Profis beherrschen das Zehnfingersystem. Profis agieren emotionslos. Profis können Berufliches und Privates trennen. Profis werden angemessen bezahlt. Profis können Risiken abschätzen. Das Wort „eigentlich“ existiert für Profis nicht. Profis wissen sich immer zu helfen. Profis geben ihre Privatnummer nicht dem/der BauherrIn. Profis arbeiten mit Profis. Profis kommen ohne Spalt aus (Zwischenräume sind ihnen suspekt). Profis können sich einschränken. Sie sind keine GeneralistInnen. Profis wollen Profis sein. Profis machen keine Fehler. Profis arbeiten mit professionellem Werkzeug. Profis machen Gesprächsnotizen. Profis sehen den Sinn in ihrer eigenen Arbeit. Profis können nicht alles besser, Profis arbeiten arbeitsteilig. Profis entwerfen nicht selbst, sie lassen entwerfen. Profis denken in Szenarien. Profis sind verlässlich. Profis sind nicht kreativ. Profis haben gute Manieren. Profis sind verbindlich. Für Profis ist der Beruf keine Berufung. Profis wissen, was sie können. Profis folgen einem Kanon. Profis hinterfragen nicht ihre eigene Relevanz. Sie zweifeln nicht. Profis wissen alles. Und wenn nicht, wissen sie, wo sie nachschauen müssen. Zum Beispiel in diesem Heft.

 


[1] Hasan Salihamidžić über Serge Gnabry nach dessen Flug zur Pariser Fashion Week im Januar 2023, zit. n. dpa-info-com, dpa:230125-99-345903/2.

[2] Sam Jacob in seinem Vortrag im Rahmen des Symposiums „Professionalism“, TU Graz, April 2022.

[3] Vielleicht auch andersrum.