GAM 12

Editorial

Stefan Peters, Andreas Trummer

Auf dem Gebiet der Tragwerksplanung begegnen sich Architekten, Bauingenieure und Vertreter der Bauindustrie. Systematisch erarbeitet dieser Bereich des architektonisch-statisch-konstruktiven Wissens Tragwerkskonzepte in der Architekturlehre, -forschung und -praxis und hat sich dadurch zu einer integralen und gestaltenden Disziplin auf dem Feld der architektonischen Entwurfsverfahren entwickelt. Der Tragwerksentwurf als klassisches konstruktives Entwerfen ermöglicht ein enges Zusammenspiel zwischen Formgebung, baukonstruktiver Planung und technischer Fabrikation, welches durch Softwareentwicklungen, neue Materialien und Verbindungstechnologien ständig Veränderungen erfährt. Der Tragwerksentwurf stellt damit ein sehr innovatives und interdisziplinäres Entwicklungsfeld der Architektur- und Ingenieurwissenschaften dar. GAM.12 Structural Affairs fragt nach den Potenzialen und Synergien dieser Entwicklung für die architektonische Praxis und stellt aktuelle Projekte sowie theoretische Positionen zur Diskussion.

Dazu werden die Bedingungen des Entwerfens und der zeitgenössischen Architekturproduktion aus der Sicht von drei thematischen Kategorien betrachtet: Die erste – Constellation – reflektiert das erweiterte Blickfeld und die Vielfalt der Überlegungen, aus denen der Tragwerksentwurf seine strukturellen Ansätze und Anregungen schöpft. Dieser erste Teil von GAM.12 umfasst deshalb Beiträge, die unterschiedliche theoretische, praktische oder experimentelle Forschungsansätze in einen neuen erkenntnistheoretischen Zusammenhang für die Architektur stellen. Die Dynamik des architektonischen Forschungsfeldes speist sich aus unterschiedlichen Quellen, deren gegenwärtige Neubewertung ein hohes innovatives Potenzial besitzt. Wolfgang Schäffner thematisiert den Paradigmenwechsel, der sich aus der Entstehung eines neuen Strukturalismus ergibt, der informiert von interdisziplinären strukturellen Fragen gegenwärtig den Wandel von einer linguistischen zu einer material-technischen Forschungsrichtung vollzieht und mit seiner „übergreifenden materialen Epistemologie“ auch zur Reflektion und Annäherung von räumlicher und Wissensarchitektur beitragen kann. Auf welche Weise sich dieser Wandel in der Architektur in Hinsicht auf Materialinnovationen und computerbasierte Methoden gegenwärtig gestaltet und welche neuen Formen der Zusammenarbeit damit einher gehen, diskutieren Martin Bechthold, Sigrid Adriaenssens, Panagiotis Michalatos, Neri Oxman und Andreas Trummer in einem Gespräch, das sie über ihre aktuellen Projekte geführt haben. In ihrem Beitrag „Geometry of Forces“ schreiben Philippe Block, Tom Van Mele und Matthias Rippmann der grafischen Statik eine neue Bedeutung zu und analysieren die Relevanz der Erstellung von Lage- und Kräfteplänen in ihrem Potenzial für die Gestaltung und Optimierung von Tragstrukturen. Oliver Tessmann und Anton Savov widmen sich der Frage, wie sich das Fügen von Modulen durch digitale Methoden und Werkzeuge gegenwärtig verändert und zeigen anhand von verschiedenen Fallstudien, wie die Prozesse des Planens und Bauens effektiver miteinander verschränkt werden können. Die Erforschung alternativer Bauformen und sozialer Kollaborationen sind auch das Thema von Tomás Saracenos künstlerischen Installationen, deren komplexe Spinnennetz-Strukturen zur Reflexion über das Verhältnis von Mensch und Natur einladen.

Der zweite Teil von GAM.12 – Conversation – behandelt Formen der Zusammenarbeit, die eine komplexe Kommunikationsstruktur zwischen Entwurf, Planung und Fertigung notwendig machen. Neben Gesprächen und Verhandlungen unterschiedlicher Akteure auf persönlicher wie auf technischer Ebene bilden auch kollaborative Planungstools und operative Softwareinnovationen das Rückgrad vieler Entwurfsentscheidungen. Martin Knight und Bartlomiej Halaczek widmen sich den Dialogen, die Bauingenieure und Architekten beim Brückenentwurf zusammenführt und plädieren dabei nicht nur für den Gebrauch gemeinsamer Entwurfstools sondern auch für die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache. Der Beitrag von Stephan Engelsmann und Stefan Peters zeigt anhand von vier Projekten wie z.B. dem Österreichischen Pavillon der EXPO in Mailand, wie sich diese gemeinsame Sprache konkret von der Planung bis zur Ausführung artikulieren kann. Eine unternehmerische Perspektive auf die Formen und Perspektiven der Zusammenarbeit liefern zwei Gespräche mit führenden Akteuren aus der Bauindustrie – aus der Firmengruppe Max Bögl und aus der Firma seele –, die seit Jahren erfolgreich Bauausführung, Forschung und Entwicklung zusammenführen. In ihrem Text „Parametric Concrete“ beweisen Andreas Fuchs und Michael Pelzer, dass die enge kommunikative Vernetzung von Planungs-, Fertigungs- und Montageparametern nicht nur zu mehr kreativem Spielraum im Betonfertigteilbau sondern auch zu einer erheblichen Effizienzsteigerung in der diesbezüglichen Planung führen kann.

Welche neuen strukturellen Entwicklungen sich aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Beteiligter und auch unterschiedlicher Entwurfstools schließlich baulich konfigurieren, behandelt der dritte und letzte Teil von GAM.12 – Configuration. Dem Leichtbau als dem materialtechnisch, strukturell und ressourcenökonomisch betrachtet innovativsten Forschungsfeld des Tragwerksentwurfs gilt dabei eine besondere Aufmerksamkeit. So führt Werner Sobek in seinem Beitrag anhand der „Smart Shell“ vor, wie durch aktive Verformungskontrolle ein minimierter Ressourcenaufwand und ultraleichte Tragwerksstrukturen entstehen. Christoph Gengnagel und Gregory Quinns Studie über vorbeanspruchte Gitterschalen, die nach dem activebending-Prinzip entworfen und gebaut werden, zeigt jene Potenziale auf, die sich aus der Integration von FEM-Simulationssoftware in den Entwurfs- und Montageprozess ergeben. Auch für Julian Lienhard bietet das parametrische Modell eine wesentliche Schnittstelle für die Koordination und die Vermittlung von Entwurfsfaktoren für den Leichtbau. Seine Fallstudie eines wandelbaren Membrantragwerks zeigt, wie funktionale, statische und ästhetische Anforderungen im parametrischen Setup optimiert werden. Schließlich führen Stefan Peters und Andreas Trummer in ihrem Beitrag vor, wie Schalentragwerke aus ultrahochfestem Beton geometrisch im Stande sind, individuelle Formfindung mit materialgerechter Konstruktionsweise und innovativen Fertigungsmethoden zu vereinen.

Alle Autorinnen und Autoren des Heftes arbeiten in Lehre, Forschung, Planungspraxis oder Ausführung. Die vielfältigen Beiträge basieren auf ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Expertisen und ermöglichen es GAM.12 dadurch, ein zeitgemäßes Bild aktueller Tendenzen und Überlegungen aus dem Bereich des Tragwerksentwurfes zu zeichnen. Ihnen sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihre Mitarbeit am Themenschwerpunkt von GAM.12 Structural Affairs gedankt. Der nachfolgende Rezensionsteil widmet sich wieder ausgewählten Neuerscheinungen aus dem Bereich der architektonischen Fachliteratur. Die besprochenen Publikationen spannen thematisch den Bogen von Material- und Fabrikationstechniken über Stadtforschung bis hin zur gebauten Biografie und dem Schreiben von Architekturgeschichte. Die Faculty News geben abschließend einen Einblick in Projekte und Veranstaltungen an der Architekturfakultät der TU Graz; bildet doch unsere Fakultät mit all ihren Lehrenden, Studierenden und Mitarbeitenden seit Jahren die Basis für das jährliche Erscheinen von GAM. Über unsere Pläne für die kommende Ausgabe von GAM informieren wir wie gewohnt mit unserem Call for Papers auf den letzten Seiten.